Wie Eltern lernen können, ihr Baby zu verstehen

Wie Eltern lernen können, ihr Baby zu verstehen

Angelina ist Logopädin, Mama und leidenschaftliche babySignal-Kursleiterin im Allgäu. Seit über 8 Jahren begleitet sie Familien in der frühen Sprachentwicklung und unterstützt sie dabei, von Anfang an eine liebevolle und erfolgreiche Kommunikation mit ihrem Kind zu gestalten. Angelinas Fokus liegt auf Babygebärden, Bindung und intuitiver Eltern-Kind-Kommunikation – Themen, die sie auch auf ihrem Instagramkanal praxisnah und alltagsfreundlich teilt. In ihren Kursen lernen Eltern, wie sie mit einfachen Gebärden schon mit Babys ab 6 Monaten kommunizieren können – spielerisch, bindungsorientiert und mit ganz viel Freude. Denn: Sprache beginnt nicht erst mit Worten.

 

Babys kommunizieren vom ersten Tag an – nur eben ganz anders, als wir es gewohnt sind. Wir sprechen mit Logopädin Angelina Wagner darüber, wie Eltern die feinen Signale ihres Kindes erkennen können – und warum es so wertvoll ist, genau hinzuschauen.

 

Was versteht man unter Feinzeichen in der frühen Kommunikation von Babys?

Feinzeichen sind Signale, die Babys intuitiv aussenden. Sie zeigen so zum Beispiel, dass sie Hunger haben, entspannt oder müde sind oder dass ihnen gerade alles zu viel ist. Aber: Es gibt auch sehr individuelle Feinzeichen, die von Baby zu Baby unterschiedlich sein können. Mein Sohn hat zum Beispiel schon als Baby Schluckauf bekommen, wenn ihm alles um ihn herum zu viel wurde.

 

Gibt es auch Beispiele, die auf viele Kinder zutreffen?

Ja, es gibt einige allgemein beobachtbare Feinzeichen. Viele Babys drehen zum Beispiel den Kopf unter größter Anstrengung und Anspannung zur Seite, wenn sie unter Stress stehen. Viele überstrecken sich, zeigen also eine hohe Muskelanspannung. Auch Gähnen oder schnelles Atmen können ein Zeichen für Überforderung sein. Müdigkeit kann sich durch Weinen äußern. Wenn Babys versuchen, sich selbst zu regulieren, bringen sie möglicherweise ihre Hände und Füße zur Mitte. Entspannte Babys können locker geöffnete Hände haben und Blickkontakt aufbauen.

 

Also sind das nicht nur willentliche Reaktionen?

Auf keinen Fall, Feinzeichen sind angeboren und intuitiv. Sie gehören zur kindlichen Entwicklung dazu. Bei vielen Babys färben sich etwa die Augenbrauen rot, wenn sie müde sind. Bei Stress kann sich die Herzfrequenz erhöhen. Das bekommen Eltern in der Regel gar nicht mit.

 

Wann treten Feinzeichen denn das erste Mal auf?

Allgemeine Feinzeichen sind eigentlich schon ab Geburt beobachtbar. Später können sie dann einen individuellen Charakter entwickeln, z.B. dass Kinder an Ellenbogenknochen reiben, um sich zu regulieren. 

 

Wie können Eltern Feinzeichen dann überhaupt identifizieren, wenn man sie zum Teil gar nicht wahrnimmt?

Meine Schwägerin hat mal zu mir gesagt, dass man 1 Jahr braucht, um sein Kind kennenzulernen. Ich finde, das stimmt. Eltern und Kind müssen sich erst mal eingrooven. Mit der Zeit lernt man immer besser, sein Kind zu verstehen. Irgendwann erkennt man schon an den kleinsten Signalen: Ah, jetzt hat das Baby Hunger! Oder: Jetzt ist es frustriert. Eltern sollten sich dafür öffnen und ihr Baby einfach mal beobachten.

 

Viele Eltern sind beim ersten Kind am Anfang unsicher. War es bei dir ähnlich?

Ja, bei mir war es ähnlich. Ich habe mich sehr an Normen und Tabellen orientiert, zum Beispiel beim Thema Schlafen. Wie viel soll ein Baby in diesem Alter schlafen und verteilt auf wie viele Schläfchen? Rückblickend wäre es sinnvoller gewesen, einfach auf die Müdigkeitsanzeichen meines Sohnes zu achten. Er hat sich mir ja mitgeteilt.

 

Wie hat sich das bei dir denn gewandelt?

Ich habe schließlich einen Kurs belegt, der die frühe Entwicklung von Kindern zum Thema hatte. Das war alles sehr achtsam gestaltet und danach konnte ich mich dann viel besser darauf einlassen, meinen Sohn als Individuum zu betrachten. So konnte ich ihn viel besser sehen und verstehen.

 

Und wie gelingt das gut im Alltag?

Dafür braucht es gar nicht viel. Wenn ein Baby gerade beschäftigt ist und die Welt um sich herum entdeckt, können sich Eltern auch einfach mal daneben setzen und es beobachten. So lernt man sein Kind und dessen Feinzeichen sehr gut kennen. Bei Überforderung etwa könnten Eltern genau das verbalisieren und sagen „Ohje, dir ist grad alles zu viel und du bist ganz arg angespannt.“ So lernt das Kind früh, dass es gesehen wird und was sein aktuelles Gefühl bedeutet. Wenn das Baby dann zum Beispiel Offenheit und Interaktionswillen zeigt und es zu ihnen schaut, reagieren sie darauf: „Hallo, Anna! Ich bin deine Mama. Schön, dich zu sehen.“ Wichtig ist dabei, sanft zu lächeln und einen entspannten Tonfall zu haben. Dann sollte eine kleine Pause passieren und auf die kindliche Reaktion gewartet werden. So lernen Kinder schon sehr früh, wie basale Interaktion funktioniert. 

 

So früh ist also schon Kommunikation möglich?

Genau. So erfahren Kinder, wie ein Wechselspiel funktioniert: Du schaust mich an und ich spreche mit dir und reagiere auf dich. Das ist auch für die Sprachentwicklung und spätere Gespräche wichtig. Gleichzeitig ist das für Kinder ein tolles Gefühl der Selbstwirksamkeit.

 

Wenn Eltern die Feinzeichen ihres Babys verstehen, fördert das also die Selbstwirksamkeit?

Auf jeden Fall! Wir müssen verstehen: Babys möchten immer kommunizieren. In den ersten Lebenswochen gelingt das erst mal nur durch Feinzeichen und auch Schreien. Das Baby möchte sich mitteilen und uns zeigen: He, ich brauche etwas. Die Feinzeichen helfen herauszufinden, in welche Richtung es gehen könnte. Wenn das von den Eltern erkannt wird, ist das natürlich ein Erfolgserlebnis! Das Baby wollte etwas mitteilen, die Eltern haben es verstanden, das Bedürfnis erkannt und reagieren darauf. Toll!

 

Bestärkt das Babys denn darin, diese Signale regelmäßig zu nutzen?

Wenn die Signale regelmäßig erkannt werden und die Eltern achtsam darauf eingehen, dann ist das für Babys ein absoluter Kommunikationserfolg. Auch spätere Kommunikationsversuche werden verstärkt, wenn Eltern darauf eingehen. So bekommen sie eine Bedeutung.  Dadurch lernen Kinder, wie sie zur Erfüllung ihres Bedürfnisses kommen, wiederholen die Kommunikationsversuche und verfeinern sie.

 

Ist es denn schlimm, wenn Eltern Feinzeichen und subtile Signale übersehen oder falsch deuten?

Überhaupt nicht, das ist absolut menschlich. Manchmal sind Feinzeichen minimale Regungen, die Eltern vielleicht auch gar nicht wahrnehmen. Wichtig ist, dass Eltern versuchen, ihr Kind zu verstehen. Man beobachtet, interpretiert, macht einen Fehler, interpretiert neu. Mit Trial & Error wird man dann immer besser. Und das Kind spürt auch: Da ist mir jemand zugewandt und bemüht sich. Es kann sogar eine wertvolle Erfahrung sein, wenn Eltern unperfekt reagieren und nicht alle Bedürfnisse sofort korrekt erfüllen. Daraus wächst beim Kind die Erkenntnis: Es gibt ein ICH und ein DU.

 

Wie genau meinst du das?

In den ersten Monaten denken Babys, sie wären ein Teil von ihren engsten Bezugspersonen. Dass sie eigenständige Personen sind, müssen sie erst noch verstehen. Und das lernen sie zum Beispiel, indem sie erfahren, dass Eltern nicht sofort und immer wissen, was sie genau brauchen.

 

Das verstehen Kinder also schon?

Ja, Babys spüren das. Generell sollten sich Eltern sollten immer bewusst machen: Babys und Kleinkinder verstehen schon viel mehr Sprache, als sie produzieren können. Sie hören auch schon im Mutterleib, wenn man ihnen vorsingt oder mit ihnen spricht. In den ersten Lebenswochen und -monaten reagieren sie besonders auf die Stimmfarbe der Eltern. Darauf können Eltern achten, wenn sie mit ihrem Baby sprechen. Auch Mimik und Gestik sind anfangs wichtige Marker für das Baby, um das Gesprochene zu interpretieren.

 

Hast du noch mehr Tipps für Eltern, wie sie die frühe Kommunikation mit ihrem Baby fördern können?

Es gibt im Alltag viele Situationen, die sich dafür eignen. Beim Wickeln können Eltern zum Beispiel vorher immer genau sagen, was sie tun. Oder sie fragen ihr Baby: „Welchen Arm sollen wir zuerst durch den Body stecken?“ Sie warten kurz auf irgendeine Art von Reaktion – das kann eine kleine Bewegung oder auch nur ein kleiner Ton sein. „Ah, den rechten Arm zuerst.“ Das Baby ist dabei von Sprache umgeben, und spürt: Ich werde jetzt hier nicht nur einfach angezogen, sondern das passiert im Miteinander.

 

Das lässt sich im Alltag ja sehr einfach umsetzen.

Auf jeden Fall. Eltern können ihr Baby auch einfach mal auf ihre angewinkelten Beine legen, es anschauen und mit ihm reden. Die Händchen in die Hand nehmen, sie zu ihrem eigenen Gesicht führen und dazu sagen „Ich bin deine Mama.“ Solche Situationen fördern sehr viel: die Bindung, die Sprache, die Achtsamkeit gegenüber dem Baby. Häufig sind es solche kleinen Alltagssituationen, auf die es ankommt. Eltern müssen keine perfekten Dolmetscher für jedes Zeichen ihres Babys sein. Viel wichtiger ist es, offen und neugierig zu bleiben. Denn mit jeder Reaktion und jedem Versuch wächst das gegenseitige Verstehen. Feinzeichen sind keine starren Regeln, sondern eine Einladung zur Verbindung und ein wunderbarer Weg, schon früh in echten Kontakt mit dem Kind zu kommen.

mo:mo Expertinnen

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