Gefühle sind von Anfang an da: Babys zeigen sie, noch bevor sie Worte haben. Sie weinen, lachen, strampeln oder wenden sich ab. Für Eltern stellt sich die Frage: Wie gehe ich mit diesen Signalen um? Und was bedeutet es eigentlich, Gefühle zu spiegeln?
Darüber sprechen wir mit Christina Grünig, Förderpädagogin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.
Was bedeutet „Gefühle spiegeln“ und warum ist es so wichtig?
Viele Eltern tun es intuitiv. Weint ein Baby, fragen sie: „Tut dein Bäuchlein weh?“ Lächelt es, lächeln sie zurück. Solche Reaktionen geben schon den Kleinsten Orientierung und Sicherheit. Kleine Kinder sind noch unselbstständig, ihr Nervensystem ist unreif. Spiegeln zeigt ihnen: „Du wirst mit deinen Bedürfnissen gesehen, deine Gefühle sind wichtig.“
Welche Möglichkeiten gibt es, Gefühle zu spiegeln?
Bei Babys spielen Mimik und Stimme die größte Rolle. Spreche ich beruhigend oder aufgeregt, hoch oder tief, laut oder leise? Lege ich die Hand tröstend auf? Mit zunehmendem Alter achten Kinder stärker auf Körperhaltung und auf die Bedeutung der Worte.
Muss ich Gefühle benennen oder reicht meine Reaktion?
Beides ergänzt sich. Je älter Kinder werden, desto wichtiger ist die Sprache. Nur so lernen sie: „Das, was ich gerade fühle, ist Hunger.“ Oder: „So fühlt sich Wut an.“ Damit können Eltern schon von Geburt an starten, das Verständnis wächst mit der Zeit. Sie übernehmen so eine wichtige Vorbildrolle.
Welche Rolle spielt das Spiegeln für die Bindung?
Es ist eine Grundlage für sichere Bindung. Studien zeigen: Bleiben Gefühle ungespiegelt, reagieren Kinder unruhig und verunsichert. Passiert das für einen langen Zeitraum, können Bindungsstörungen entstehen.
Was, wenn Eltern Schwierigkeiten damit haben?
Gerade neurodivergenten Eltern kann es schwerfallen, Gefühle zu erkennen, zu spiegeln oder selbst zu zeigen. In solchen Fällen empfehle ich immer, sich frühzeitig an eine Beratungsstelle zu wenden und sich Hilfe zu holen. Wichtig ist auch, nicht etwas vorzuspielen, sondern authentisch zu bleiben. Auch Unsicherheit darf ausgesprochen werden: „Ich glaube, du bist wütend, aber sicher bin ich mir nicht. Stimmt das?“ Ältere Kinder können darauf gut reagieren. Kinder solcher Eltern können das Spiegeln trotzdem von Anfang an erleben, etwa im Kindergarten, bei einer Tagesmutter oder bei anderen Verwandten. Wie heißt es so schön: Es braucht ein Dorf.
Warum ist es so wichtig, dass Eltern authentisch bleiben?
Wenn Eltern sich verstellen, spüren Kinder das sofort. Beispiel: Eine Mutter ist erschöpft, sagt aber trotzdem Ja zum Uno-Spiel. Meist kippt die Stimmung dann beim geringsten Anlass. Eltern können in einer solchen Situation Nein sagen. Für viele Kinder ist das schwer und fühlt sich wie ein Liebesentzug an. Sie können es jedoch besser akzeptieren, wenn zunächst ihre Gefühle wahrgenommen werden: „Ich verstehe, du willst unbedingt spielen. Ich bin gerade sehr müde. Lass uns morgen früh spielen.“
Welche Alltagssituationen eignen sich besonders gut, um Gefühle zu spiegeln?
Das freie Spiel, das Rollenspiel mit Puppen oder Figuren, auch das gemeinsame Essen oder die Abendroutine: „Was hat dich heute glücklich gemacht?“ Oder: „Du bist müde, stimmt’s? Ich auch.“ Solche Momente laden zum Spiegeln ein.
Hilft Spiegeln auch bei der Selbstregulation?
Ja, es ist die Voraussetzung dafür. Kleine Kinder brauchen Co-Regulation, besonders in Gefühlsstürmen. Wenn die Emotionen sich beruhigt haben, können Eltern benennen: „Du warst wütend, weil dein Eis runtergefallen ist.“ So lernen Kinder, ihre Gefühle einzuordnen und mit der Zeit selbst zu regulieren.
Was gilt in der Autonomiephase?
In dieser Zeit ist die emotionale Bandbreite gewaltig. Die Gefühle sind für kleine Kinder groß und oft überwältigend. Eltern sollten in Gefühlsstürmen nicht sofort eingreifen, sondern lieber Raum geben. Sie können ihr Kind zunächst beobachten: Wie äußert es sich? Was fühlt es? Wie kann ich am besten darauf eingehen? Wichtig ist, dass sie signalisieren: „Ich bin da, du bist sicher. Alle Gefühle sind erlaubt.“
Können Eltern selbst Vorbilder sein?
Unbedingt. „Ich bin gestresst. Das hat nichts mit dir zu tun. Papa spielt jetzt mit dir, und ich gehe kurz spazieren.“ So erleben Kinder, wie Erwachsene mit Emotionen umgehen. Sie lernen Strategien, die sie später selbst für sich anwenden können.
Was rätst du Eltern, die Angst haben, Fehler zu machen?
Spiegeln passiert meist ganz selbstverständlich. Wer sich unsicher fühlt, kann – und sollte – sich beraten lassen. Wichtig ist, selbst reguliert zu bleiben. Nur dann klappt auch die Co-Regulation.
Wenn Eltern nur einen Gedanken mitnehmen sollen?
Gefühle zu spiegeln, ist zentral für die Beziehung. Aber authentisch zu bleiben, ist genauso wichtig. Und: Eltern müssen nicht alles verstehen. Manchmal genügt statt einem „ich verstehe“ auch ein „Ich sehe, dass du wütend bist. Das tut mir leid für dich.“ Genau das gibt Kindern Halt und die Sicherheit, dass sie gesehen und wirklich verstanden werden.