Konflikte verstehen statt gewinnen

Tanja Romano

Tanja Romano ist Trainerin der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg, angehende LilaLiebe®-Beraterin nach Kathy Weber und 4-fache Mama. Ihre Passion ist es, Eltern zu begleiten, den liebevollen Dialog mit sich selbst und ihren Kindern zu finden – weg von Vorwürfen und Strafen, hin zu echtem Verstehen und Verbundenheit. Tanja begleitet Eltern auf dem Weg zu einem liebevolleren Miteinander – zu sich selbst und zu ihren Kindern. Ihr Herzenswunsch: Mach Familie zu deinem Lieblingsort.

Konflikte verstehen statt gewinnen

Was tun, wenn das Kind wütend ist, schreit oder einfach keine Kompromisse machen will? Viele Eltern wünschen sich auch in diesen Momenten einen liebevollen Umgang auf Augenhöhe – und stoßen dabei schnell an ihre Grenzen. Gewaltfreie Kommunikation (GFK) kann hier eine echte Hilfe sein. Doch was steckt eigentlich dahinter? Und wie lässt sich die GFK im turbulenten Familienalltag leben? Wir haben mit GFK-Trainerin Tanja Romano gesprochen – über Haltung, Sprache und warum GFK bei uns selbst beginnt.

 

Gewaltfreie Kommunikation – kurz GFK – ist vielen kein Begriff. Kannst du kurz erklären, was das eigentlich ist?

Die Gewaltfreie Kommunikation, entwickelt von Marshall B. Rosenberg, ist ein Weg zu mehr Verbindung und Klarheit, der auf Eigenverantwortung, Empathie und der Ausrichtung auf menschliche Bedürfnisse beruht. Die GFK ist nicht einfach nur eine neue Art, miteinander zu sprechen. Es geht vielmehr um eine Haltung: Dass ich mich selbst gut spüre, dass ich merke, was gerade in mir los ist, und dass ich meinem Kind wirklich zuhöre – ohne zu bewerten oder zu verurteilen. Wenn ich das übe, können wir viel besser verstehen, was wir wirklich brauchen. Und dann wird das Miteinander entspannter und liebevoller. Das ist keine Raketenwissenschaft, sondern eine Art, bewusster miteinander umzugehen – jeden Tag ein bisschen mehr.

 

Was genau bedeutet das?

Jede Familie mit Kindern erlebt immer wieder Konfliktsituationen. Das Ziel der GFK ist es, eine Haltung des Verständnisses und der Verbindung zu entwickeln – sowohl zu uns selbst als auch zu unserem Kind. Dabei geht es darum, das Verhalten des Kindes wahrzunehmen, hinter die Gefühle zu blicken und die dahinterliegenden Bedürfnisse zu erkennen. So können wir in Kontakt bleiben und gemeinsam nach Lösungen suchen, die für alle stimmig sind.

 

Das klingt im ersten Moment gar nicht so schwer.

Das kann es durchaus sein. Die meisten Eltern stellen irgendwann fest, dass das Verhalten ihrer Kinder alte Muster in ihnen triggern kann. Das kindliche Verhalten kann bei uns Knöpfe drücken und etwas mit uns machen. Da ist es gar nicht so leicht, immer ruhig und besonnen zu bleiben. GFK fängt darum erst einmal mit Selbstreflektion an. Wir müssen uns selbst verstehen, um alte Muster zu durchbrechen und mehr auf Augenhöhe zu reagieren. Und genau das ist ein großer Teil meiner Arbeit: Eltern dabei zu begleiten, herauszufinden, was in ihnen selbst berührt wird – und was sie in solchen Momenten brauchen, um nicht aus alten Mustern zu reagieren, sondern in Verbindung zu bleiben.

 

Du hast selbst 4 Kinder. Hast du dafür ein Beispiel?

Unsere Älteste hat einen Kirschbaum, von dem immer alle genascht haben. Sie wollte das nicht – und eins kam zum anderen, ein Streit noch früh am Morgen. Ich bin richtig wütend geworden. Nach der Schule hatte ich mich abgekühlt und mir war klar: Ich war nur so wütend, weil ich selbst immer alles teilen musste. Warum also jetzt meine Tochter nicht? Ich habe mich dann zu ihr gesetzt und ihr gesagt, dass ich bedauere, wie das gelaufen ist. Dass das meine Wut ist und die auch bei mir bleibt. Wir konnten ganz ruhig miteinander sprechen und es stellte sich heraus, dass sie durchaus bereit ist zu teilen. Wir sollten sie nur vorher fragen, bevor wir uns etwas nehmen. So einfach.

 

GFK bedeutet nicht, dass das Kind am Ende immer Recht bekommt, richtig?

Nein, das heißt es ganz und gar nicht. GFK hat nichts mit laissez-fairer Erziehung zu tun. Im Gegenteil, Kinder brauchen ganz viel Führung, Orientierung und Strukturen. Eltern dürfen und sollen unbedingt Grenzen setzen. Kinder brauchen diese Führung. Ein Beispiel: Stellen wir uns mal vor, dass ein Kleinkind, 2 Jahre alt, nur noch Nudeln pur essen möchte. Morgens, mittags, abends. Ich habe Mittagessen gekocht – jedoch keine Nudeln, sondern etwas mit Gemüse.

 

Das Kind wird dann wahrscheinlich wütend werden.

Genau. Ich bleibe erstmal in der Verbindung und beschreibe, was ich sehe – ganz ohne zu bewerten: „Du wolltest jetzt gerne Nudeln, und jetzt bist du richtig wütend – und Mami hat Gemüse gekocht. Das findest du gerade total doof.“

Dann schaue ich dahinter, worum es dem Kind eigentlich wirklich geht: „Du möchtest selbst entscheiden, was du isst – das ist dir wichtig.“

Und trotzdem darf ich als Mama auch meine Verantwortung zeigen und klar sein: „Gleichzeitig möchte ich gut für dich sorgen – und dazu gehört für mich auch, dass du Gemüse bekommst.“

So setze ich eine klare Grenze – es gibt keine (oder vielleicht nicht nur) Nudeln – und bleibe trotzdem mit meinem Kind in Verbindung. Ich sehe dich. Und ich nehme dich ernst. Und ganz wichtig: ich bleibe mit mir selbst verbunden, auch wenn der Wutausbruch meines Kindes folgt. 

 

Mir ist aufgefallen, dass du nicht „aber“ gesagt hast, sondern „gleichzeitig möchte ich gut für dich sorgen“.

In der Gewaltfreien Kommunikation geht es nicht darum, einzelne Wörter strikt zu verbieten, sondern darum, wie Sprache Verbindung fördert oder blockiert. Das Wort „aber“ wirkt oft wie ein Widerspruch, der das vorher Gesagte relativiert oder abschwächt. Wir kennen das alle: „Deine Brille ist schön, aber…“ – und plötzlich klingt das Lob nicht mehr echt. Deshalb lohnt es sich, das „aber“ zu ersetzen, etwa durch „und“ oder „gleichzeitig“. So bleiben wir im Gespräch offen, fördern Verständnis und halten die Verbindung aufrecht.

 

Gibt es noch andere Wörter, die du vermeidest?

Ja, typische Wörter wie „nicht“ oder Verallgemeinerungen wie „man“ oder „immer“ können die Verbindung ebenfalls stören. Sie schränken die Gesprächsqualität ein, weil sie oft Schuldzuweisungen oder Pauschalisierungen transportieren. Statt „Man macht das nicht!“ ist es viel hilfreicher, konkret und persönlich zu bleiben: „Ich finde das gerade schwierig.“ In der Gewaltfreien Kommunikation setzen wir auf klare, persönliche und konkrete Aussagen, die ehrlich sind und Raum für Lösungen lassen. Ich möchte aber noch mal betonen, dass es viel mehr um die Haltung hinter den Worten geht als um die Worte selbst.

 

Ist das nicht eine große Umstellung?

Ja – am Anfang schon. Wir sind ja in einer Welt groß geworden, in der Schuld, Bewertung und Kontrolle ganz alltäglich sind. Es braucht Zeit, bis wir die Sprache des Lebens – die Sprache der Bedürfnisse – wiederentdecken. Jedoch mit jedem Mal, wo wir innehalten und fragen: Was fühle ich gerade? Was brauche ich wirklich? – beginnt Veränderung. 

 

Funktioniert GFK denn schon mit kleinen Kindern?

Ja, absolut! GFK ist keine Frage des Alters – sondern der Haltung. Auch kleine Kinder reagieren auf Verbindung, auf echtes Zuhören und auf klare, liebevoll gesetzte Grenzen. Und natürlich verstehen sie noch keine „Bedürfnisanalyse“ – jedoch spüren sie sofort, ob wir sie ernst nehmen oder ihnen etwas überstülpen. Wichtig dabei ist es, dass die GFK nicht als Sprachmodell missbraucht wird.

Und das Schöne ist: Man kann jederzeit damit anfangen. Ich begleite auch Eltern mit Teenagern, bei denen sich plötzlich ganz neue Türen öffnen – weil das Miteinander nicht mehr von Machtkämpfen, sondern von gegenseitigem Verstehen geprägt ist.

 

Ich stelle es mir schwer vor, mitten in Konfliktsituationen so besonnen zu reagieren. Beobachten, Bedürfnis erkennen, angemessen reagieren, auf die Sprache achten – das kann anfangs bestimmt überfordern, oder?

Ja, absolut – das geht vielen so. Gerade am Anfang kann es sich anfühlen wie Jonglieren auf einem Einrad: Beobachten, fühlen, formulieren – und das alles, während dein Kind vielleicht gerade schreit oder sich auf den Boden wirft. Und das ist total okay. Kinder brauchen kein Perfektionsprogramm, sondern eine Einladung zur Entwicklung und zum Ausprobieren. Manchmal gelingt es nicht im Moment – und auch nach dem Konflikt können wir hinschauen: Was war da eigentlich los? Was habe ich gebraucht – und was mein Kind? Was würde ich beim nächsten Mal gern anders machen?

Diese Art der Selbstreflexion ist ein ganz wichtiger Teil der GFK. Ich vergleiche das gern mit meinem Kirschbaum-Beispiel: Da konnte ich auch erst im Nachhinein sagen, dass ich bedaure, wie ich reagiert habe – und gleichzeitig war genau das eine wertvolle Lernerfahrung.

 

Was stellen denn Eltern in deiner Beratung fest?

Ich starte erst mal damit, dass ich einfach zuhöre, was bewegt und was ist da womit wir arbeiten können. Ich erkläre den Eltern, was GFK eigentlich ist: Worum geht es? Welche Haltung und welches Menschenbild wir mit der GFK leben? Und so kann jeder erst einmal gucken: Ist das überhaupt etwas für mich? Im empathischen Coaching machen wir kleine Schritte und versuchen, Situationen zu verstehen. Es geht erst einmal darum, dass Eltern sich selbst verstehen. Und erst im zweiten Step geht es um das Kind.

 

Was verändert sich durch GFK denn erfahrungsgemäß in den Familien, die du begleitest?

Gewaltfreie Kommunikation verändert nicht primär das Verhalten – sondern die innere Haltung, mit der wir auf Situationen schauen. Eltern, die mit GfK arbeiten, erleben oft: Der äussere Konflikt ist nicht das eigentliche Problem – sondern das, was in mir passiert, wenn mein Kind „nein“ sagt, schreit oder Grenzen testet. Sobald ich lerne, meine eigenen Reaktionen zu verstehen, entsteht ein Raum. Ich bekomme Wahlmöglichkeiten. Ich muss nicht sofort „reagieren“. Ich kann erstmal bei mir bleiben. Was sich verändert? Nicht die Kinder – sondern die Art, wie Eltern mit sich selbst umgehen und auf die Situation schauen.

Und daraus folgt vieles fast automatisch: weniger Stress, weniger Eskalation, weniger Reibung. GFK ist keine Methode zur Kindererziehung. Es ist eine Haltung, mit der wir Beziehung gestalten – klar, verbindlich und erwachsen.

 

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