Selbstständig von Anfang an: Wie Kinder lernen, Dinge allein zu tun

Laura ist Mutter von 2 Kindern, als Erzieherin im U3-Bereich tätig und PEKiP-Leiterin. Der Satz "Hilf mir, es selbst zu tun" von Maria Montessori prägt nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr Familienleben.

Selbstständig von Anfang an: Wie Kinder lernen, Dinge allein zu tun

Schon in den ersten Jahren wollen Kinder vieles allein schaffen. Sie greifen nach dem Löffel, versuchen, ihre Schuhe anzuziehen oder räumen Dinge aus dem Regal. Für Eltern stellt sich dabei oft die Frage: Wie viel Unterstützung ist sinnvoll und wo sollte man dem Kind einfach Raum geben?

Darüber spricht Krippen-Erzieherin Laura Braatz. Sie erklärt, wie frühe Selbstständigkeit entsteht, warum sie so wichtig ist und welche Impulse Familien im Alltag aufgreifen können.

 

Was bedeutet „Selbstständigkeit“ im Krippenalter überhaupt?

Selbstständigkeit zeigt sich schon bei den Jüngsten: Sie wollen aktiv am Alltag teilhaben und Dinge aus eigener Kraft schaffen. Das muss nicht perfekt oder schnell sein und darf auch mal daneben gehen. Wichtig ist, dass Kinder die Chance bekommen, Dinge selbst zu tun. Schon dann wird der Grundstein gelegt.

 

Welche Alltagssituationen eignen sich dafür besonders gut? 

Eigentlich fast alle. Kinder können beim Zähneputzen mitmachen (Eltern putzen danach nach), sich aus einer kleinen Auswahl Kleidung für den nächsten Tag aussuchen oder beim Einkaufen mitentscheiden, welche Äpfel in den Korb kommen. Wenn sie merken: Ich darf mitwirken, meine Meinung zählt, stärkt das ihr Selbstbild enorm.

 

Gibt es auch Momente, in denen man Selbstständigkeit lieber hintanstellen sollte?

Auf jeden Fall: Immer dann, wenn es stressig ist. Morgens zum Beispiel. Niemand muss um 6 Uhr vor der Kita gemeinsam Pfannkuchen backen oder das Kind 10 Minuten versuchen lassen, den Reißverschluss zu schließen, wenn die Zeit drängt. Es ist völlig in Ordnung, in solchen Situationen pragmatisch zu sein.

 

Geduld spielt also eine große Rolle?

Ja, absolut. Kinder spüren Ungeduld sofort. Dann kippt die Stimmung schnell. Wichtig ist, klar zu kommunizieren: „Jetzt passt es nicht. Heute Nachmittag hast du Zeit, das selbst zu machen.“ So lernen Kinder, dass es Zeiten gibt, in denen Mitwirken möglich ist und andere, in denen Abläufe Vorrang haben.

 

Und wenn etwas einfach nicht klappt? Wann sollten Eltern eingreifen?

Kinder müssen Frustration aushalten lernen. Wenn Eltern zu schnell übernehmen, nehmen sie ihnen diese Erfahrung. Natürlich ist das nicht leicht – weder für die Kinder noch für die Eltern. Aber gerade solche Momente sind wertvoll, weil sie Durchhaltevermögen und Problemlösefähigkeit fördern. Wenn wirklich absehbar ist, dass etwas gar nicht funktionieren wird, dürfen Eltern natürlich unterstützen.

 

Wie kann das gelingen, ohne das Kind zu entmutigen?

Statt zu fragen: „Brauchst du Hilfe?“ – was oft nur zusätzlichen Druck macht – hilft eine Formulierung wie: „Wenn du Hilfe brauchst, ich bin da.“ So bleibt man auf Augenhöhe. Und Kinder lernen, um Unterstützung zu bitten. Auch das ist Selbstständigkeit.

 

Was können Eltern zu Hause tun, um Selbstständigkeit zu fördern?

Die Umgebung ist entscheidend. Spielsachen auf Augenhöhe, zugängliche Regale, ein eigener bodennaher Schrankbereich in der Küche: All das lädt zum Mitmachen ein. Ein stabiler Hocker ist Gold wert: fürs Händewaschen, Mitkochen oder Anziehen. Kleidung sollte so platziert sein, dass Kinder selbst drankommen. Wenn Jacke, Schal und Mütze auf Kinderhöhe hängen, wird Selbstständigkeit selbstverständlich.

 

Und wenn mal etwas daneben geht?

Dann ist Gelassenheit gefragt. Wenn beim Eingießen etwas verschüttet wird, ist das kein Drama, sondern ein Lernmoment. Kinder dürfen Fehler machen. Vielleicht liegt in der Kinderschublade ein Lappen bereit. Dann kann das Kind das Missgeschick selbst aufwischen. Den Satz „Das kannst du noch nicht“ kann man leicht ersetzen durch „Das darfst du noch lernen.“ Das verändert die Haltung. Bei Eltern und Kind.

 

Manche Kinder machen in der Kita vieles allein, zu Hause aber nicht. Warum ist das so?

Das kommt häufig vor. Kinder haben Phasen, in denen sie Energie für bestimmte Entwicklungsschritte brauchen. Wenn sie gerade kognitiv viel lernen, bleibt fürs Anziehen vielleicht keine Kraft. Oder sie erleben, wie jüngere Kinder umsorgt werden, und wünschen sich auch selbst wieder mehr Nähe. Auch das ist völlig normal. Selbstständigkeit und Geborgenheit schließen sich nicht aus.

  

Trotzdem darf man Kindern etwas zutrauen?

Unbedingt. Kinder brauchen zum Beispiel kein Plastikgeschirr. Sie können mit Porzellan und richtigem Besteck umgehen. So lernen sie, vorsichtig zu sein. Kindermesser dürfen früh eingeführt werden, natürlich unter Aufsicht. Das stärkt Vertrauen und Kompetenz.

  

Warum ist frühe Selbstständigkeit so wichtig?

Weil hier der Grundstein fürs Leben gelegt wird. Kleinkinder lernen in kurzer Zeit unglaublich viel. Eltern, die Geduld haben und Vertrauen schenken, werden schnell mit sichtbaren Fortschritten belohnt. Wer erst im Schulalter beginnt, Selbstständigkeit zu fördern, holt manches schwer nach.

  

Gibt es Bereiche, die besonders wichtig sind?

Es sollte immer zur Familie passen. Wer nicht gern backt, muss kein chaotisches Backerlebnis mit einem 20 Monate altem Kind aushalten. Vielleicht liegt die Freude im Gärtnern, im gemeinsamen Tischdecken oder im Bücher sortieren. Wichtig ist: Es geht um gemeinsame Zeit und echtes Mitwirken und nicht um Leistung.

 

Und welches Missverständnis begegnet dir am häufigsten? 

Viele denken, Selbstständigkeit bedeute, dass Kinder alles allein schaffen müssen. Aber das stimmt nicht. Es geht um das Dürfen, nicht ums Müssen. Kinder lernen, indem sie tun und manchmal auch, indem sie gemeinsam mit uns tun.

 

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