Wie können Kinder ihre Welt am besten entdecken? Und welche Rolle spielt die Gestaltung der Umgebung dabei? Familienberaterin und Kursleiterin Steffi Kuntze spricht mit uns über das Konzept der „vorbereiteten Umgebung“ und gibt Eltern konkrete Ideen für den Alltag.
Was bedeutet „vorbereitete Umgebung“ eigentlich?
Eine vorbereitete Umgebung soll Kinder neugierig machen und ihre Interessen wecken. Dort warten spannende Aufgaben und Materialien. Spielzeuge dagegen spielen eine geringere Rolle.
Wo ist denn der Unterschied zwischen Materialien und Spielzeugen?
Spielzeuge werden von Erwachsenen erdacht. Sie haben meist nur einen Verwendungszweck und verlieren dadurch schnell an Reiz. Materialien hingegen regen Fantasie und Kreativität an, sind vielfältig nutzbar und wachsen mit. Ein Stock kann zum Beispiel transportiert, zum Stockmännchen oder sogar zum Flugzeug werden.
Warum ist eine vorbereitete Umgebung in den ersten Jahren so wichtig und wertvoll?
Kinder können so ihre Umgebung verändern und mitgestalten. Sie erkennen ihre Grenzen, indem sie zum Beispiel sicher fallen. Gleichzeitig sammeln sie kleine Erfolgserlebnisse. Ein Beispiel ist das Piklerdreieck: Wenn das Kind es selbst erkunden darf und die Umgebung abgesichert ist, entdeckt es das Gerät auf unterschiedliche Weise. Es steckt den Fuß durch die Latten, geht außen herum, erklimmt stolz die erste Stufe und wagt sich irgendwann höher. All das geschieht aus eigenem Antrieb. Eltern dürfen in dieser Zeit gern mal zurücklehnen, einen Kaffee trinken und einfach beobachten.
Hilfe ist also kontraproduktiv?
Genau. Kleine Stürze und blaue Flecken gehören dazu. Wichtig ist nur, dass die Umgebung so gesichert ist und keine schweren Verletzungen passieren können. Kinder müssen aber auch erfahren dürfen, dass man umkippt, wenn man nicht bei der Sache ist, oder dass manche Bewegungen nicht zum Ziel führen. So erkennen sie Grenzen und lernen, sich auszuprobieren. Manchmal meckern Kinder beim Ausprobieren und suchen den Blick der Eltern. Oft ist in der Situation schon hilfreich, sich in die Nähe zu setzen und zu sagen: „Oh, das sieht schwierig aus und du versuchst es nun auch schon eine Weile.“ Meist führt das dazu, dass sich das Kind mit seinen Gefühlen gesehen fühlt und weiter experimentiert. Wenn es im Anschluss sogar schafft, allein das Picklerdreieck wieder herunterzuklettern, können die Eltern das Strahlen in den Augen sehen und sich riesig mitfreuen.
Rätst du von Hilfe dann grundsätzlich ab?
Natürlich gibt es einen Punkt, wo Hilfe unerlässlich ist. Genau dann, wenn das Kind verzweifelt weint und wie in Starre verfällt, sich nicht mehr bewegt und sich verzweifelt nach seinen Eltern umschaut. Hier ist es wirklich Zeit, das Kind aus der Situation herauszunehmen und von vorne beginnen zu lassen. Würden wir in diesen Momenten dem Kind zeigen, wie es vom Dreieck wieder herunterkommt, dann würden wir ihm das Erfolgserlebnis nehmen. Hier können Eltern ihm Vertrauen schenken, dass es beim nächsten oder übernächsten Versuch es aus sich selbst heraus es schafft.
Das ist sicher auch gut fürs Selbstvertrauen?
Richtig. Selbstvertrauen wächst mit jeder eigenen Erfahrung. Kinder folgen dabei ihrem inneren Plan, handeln aus sich heraus und sind intrinsisch motiviert. Es geht nicht ums Lob, sondern um die Tätigkeit selbst. Herausforderungen werden im eigenen Tempo und nach aktuellem Interesse bewältigt.
Wie kann denn eine vorbereitete Umgebung für Babys aussehen?
Das hängt von der Entwicklungsphase ab. Platz und Angebot sollten immer dem Alter und den Fähigkeiten des Kindes entsprechen. Je mobiler Kinder werden, desto mehr Raum brauchen sie.
Konkrete Tipps für eine vorbereitete Umgebung von 3 Monaten bis 3 Jahren findest du unter dem Interview.
Viele Eltern haben Angst, dass ihr Zuhause dann zum Indoorspielplatz wird.
Ja, es stimmt, dass der eigene Einrichtungsstil in den ersten Jahren kaum wiederzuerkennen ist. Aber es ist nur eine Phase und sie lohnt sich.
Was rätst du Eltern, die ein begrenztes Budget haben?
Eine vorbereitete Umgebung muss nicht teuer sein. Viele Dinge sind ohnehin zu Hause vorhanden: sensorische Materialien, Becher, Schalen oder eine Box mit Stiften, die zeitweise bespielt werden kann. Auch Lebensmittelverpackungen eignen sich: Gläschendeckel zum Beispiel sind lebensmittelecht, können in den Mund genommen und zum Spielen genutzt werden. Oft haben Eltern schon viel mehr, als sie denken.
Und was, wenn wenig Platz vorhanden ist?
Am wertvollsten ist es für Kinder, einfach am Alltag teilzuhaben. Sie möchten die Welt der Erwachsenen kennenlernen. Ab dem 1. Geburtstag braucht man darum gar nicht mehr so viel Platz. Stattdessen kann man Kinder in viele Tätigkeiten einbeziehen, auch wenn es dadurch länger dauert.
Zählt das dann noch als Spielen?
Lernen und Spielen gehören zusammen. Kleinkinder machen bei Alltagsaktivitäten gern mit. So entsteht kein abgetrennter Spielbereich, sondern ein gemeinsamer Lebensraum.
Wie wichtig ist Ordnung in einer aufgeräumten Umgebung? Gibt es auch ein Zuviel an Spielzeug?
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass zu viel Spielzeug schnell überfordert. Die Kinder verlieren schnell den Überblick und können die einzelnen Spielzeuge gar nicht miteinander kombinieren, weil sie nur einseitig verwendbar sind. Viele Materialien hingegen überfordern nicht. Sie sollten begrenzt, aber ausreichend vorhanden sein. Am besten ist es, wenn sie aus dem Alltag stammen. So wird die Fantasie angeregt. Dem Kind fällt es leicht, passende Materialien zu finden, und es hat Spaß am Ausprobieren.
Wie wichtig ist es dabei, Ordnung zu halten?
Kleine Kinder brauchen immer wieder Hilfe beim Sortieren und Ordnen. Eine aufgeräumte Umgebung ist nicht nur optisch ansprechend. Sie hilft auch, den Überblick zu behalten und beugt Überforderung vor. Oft ist es hilfreich, Materialien, die für das Kind gerade nicht so interessant sind und mit denen es nicht so intensiv spielt, für eine gewisse Zeit wegzuräumen. So rotieren die Materialien durch. Auch eine schöne Idee: Materialien und Spielzeuge kistenweise mit einer befreundeten Familie tauschen. Das sorgt für Abwechslung.
Welche drei Tipps sind besonders hilfreich, um direkt loszulegen?
Zunächst: Beobachte dein Kind. Im Alltag sind wir oft gefangen im täglichen Hustle. Hier lohnt sich ein Schritt zurück: Wo steht mein Kind gerade? Welche Interessen zeigt es? Welche Materialien passen dazu? Diese Einschätzung sollte regelmäßig neu erfolgen, damit das Angebot aktuell bleibt.
Als Nächstes: Schau, was ihr bereits zu Hause habt. Meist ist es mehr, als man denkt.
Und schließlich: Bindet euer Kind in den Haushalt ein – ob beim Wäschemachen, Einkaufen, Spülmaschine ausräumen oder bei Wegen, die ihr gemeinsam erledigt. Kinder profitieren davon. Spielen und Leben gehören zusammen.
Tipps für eine vorbereitete Umgebung
3-4 Monate
Kinder sind noch nicht mobil und erkunden vor allem die Beschaffenheit von Dingen.
Geeignete Materialien: leicht, gut zu greifen, unterschiedliche Haptik, keine losen Teile.
Beispiele: Filzbänder, Baumwolltücher, Greifbälle und Greiflinge, kleine Püppchen, ein Seil mit Knoten, Sensorikbälle, Spielzeuge mit Glöckchen, Bälle aus dem Bällebad, Stoffbälle, ein Tuch mit angenähten Kleidungsetiketten
5-6 Monate
Das Baby wird mobiler. Es greift zielgerichteter, dreht und drückt Gegenstände und steckt sie sich in den Mund.
Geeignete Materialien: Flache Gegenstände mit beweglichen (nicht losen!) Teilen
Beispiele: Kleine Säckchen (z.B. mit Reis gefüllt), Pikler-Ball oder O-Ball, Kette mit Kugeln, Holzrasseln, Deckel von Breigläsern
7-10 Monate
Das Baby dreht sich, robbt und lernt das Krabbeln. Es untersucht Dinge nicht mehr hauptsächlich auf ihre Beschaffenheit, sondern auf ihre Funktion. Gegenstände werden geschüttelt, geklopft und (hinunter) geworfen. Kinder können sich länger konzentrieren und wiederholen ihre Aktionen mehrmals.
Geeignete Materialien: Elemente zum Klettern, Gegenstände zum Hinterherkrabbeln und Ausleeren
Beispiele: Pikler-Dreieck, Bälle zum Hinterherkrabbeln, Deckel von Breigläsern, Plastikschüsseln, korbgeflochtene Schalen, Becher, kleine und große Ringe und Reifen, Bürsten, Sensorikbälle
10-18 Monate:
Kinder probieren sich körperlich aus, ziehen sich hoch, klettern und machen die ersten Schritte. Sie haben großen Spaß daran, Dinge auszuleeren und zu füllen. Später werden Dinge sortiert.
Geeignete Materialien: Klettergeräte, Gegenstände zum Ausleeren
Beispiele: Pikler-Dreieck (vielleicht mit Rutsche), umfallsicherer Hocker, Schüsseln und Becher, kleine Bälle, Taschen, kleine Puppen, Nachzieh- und Schiebetiere, Naturmaterialien, kleine Fahrzeuge
Ab 18 Monaten:
Kinder spielen erste kleine Rollenspiele und verwenden Gegenstände so, wie es im Alltag gesehen haben.
Geeignete Materialien: Alltagsgegenstände, Puppen und Figuren (sollten sich möglichst am natürlichen Original orientieren)
Beispiele: Töpfe, Rührbesen, Holzlöffel, Tücher, Puppen, Tierfiguren, kleine Fahrzeuge Hüte und andere Kleidungsreste zum Verkleiden, Bälle, Naturmaterialien (Kastanien, Stöcke usw.)