Windel adé – aber wann?

Windel adé – aber wann?

Julia Beerschneider ist Erzieherin und zertifizierte BFB bindungsorientierte Familienbegleiterin®. Als Mutter von zwei Jungen begleitet sie Eltern mit Babys und Kleinkindern durch Online-Beratungen, Workshops und FenKid®-Kurse. Ihr Anliegen ist es, wissenschaftlich fundierte und alltagsnahe Impulse zu geben – für eine Elternschaft, die frei von Druck und Bewertung von außen gelebt werden kann.

 

Irgendwann steht jede Familie vor der Frage: Wie gelingt der Abschied von der Windel? Während manche Kinder früh Interesse am Töpfchen zeigen, lassen sich andere mehr Zeit. Doch ab wann spricht man überhaupt von Trockenwerden? Welche Rolle spielen Windelmaterialien oder der Druck von außen? Wir haben mit einer erfahrenen Familienbegleiterin gesprochen, die Eltern in dieser Phase begleitet. Ihre Antworten geben Orientierung – für alle, die sich einen entspannten Umgang mit dem Thema wünschen.

 

Viele Eltern fragen sich: Wann ist mein Kind bereit, trocken zu werden? Gibt es typische Anzeichen? 

Ein erstes Signal kann sein, dass Kinder sich dafür interessieren, was andere auf der Toilette machen. Sie beobachten ältere Geschwister oder die Eltern. Dann nehmen sie irgendwann wahr, dass sie selbst in die Windel machen. Anfangs stört sie das oft nicht. Wenn sie sich dann aber aktiv melden und sauber gemacht werden möchten, ist das ein guter Moment für Eltern, ein Töpfchen ins Spiel zu bringen. Eltern können das gern Einladung oder Frage formulieren: „Sollen wir mal ein Töpfchen besorgen?“

 

Melden sich Kinder früher, die mit Stoffwindeln gewickelt werden? Weil sie die Nässe stärker spüren?

Die Art des Wickelns kann einen Unterschied machen. Wegwerfwindeln saugen sehr stark, die Nässe wird kaum spürbar. Bei Stoffwindeln ist das anders: Da merken Kinder deutlicher, dass etwas nass ist. Trotzdem kann man nicht sagen, dass Kinder mit Stoffwindeln grundsätzlich früher trocken werden. Es spielen viele Faktoren mit hinein.

 

Gibt es beim Trockenwerden auch ein „zu früh“?

Oft hören Eltern von den Großeltern: „Früher waren Kinder schon mit anderthalb trocken.“ Vermutlich ging das oft mit einem Töpfchentraining einher. Der Impuls für das Trockenwerden sollte allerdings in erster Linie vom Kind ausgehen. Wenn dieser Entwicklungsschritt von den Eltern initiiert wird, kann es zu einer Überforderung beim Kind kommen. Drängen Eltern ihr Kind zum Trockenwerden, kann sich das auf den gesamten Prozess eher negativ auswirken.

 

Wird deshalb vom klassischen Töpfchentraining abgeraten?

Ja. Oft wird beim Töpfchentraining mit Belohnungen gearbeitet. Kinder bekommen beispielsweise einen Sticker pro trockenem Tag und später ein Spielzeug, wenn sie eine bestimmte Anzahl Sticker gesammelt haben. Das ist Konditionierung. Es kann kurzfristig funktionieren, aber das Kind macht dann mit, weil es etwas bekommt, und nicht, weil es das Ausscheidungsbedürfnis bei sich wahrnimmt. In vielen Fällen kippt das irgendwann, und Kinder verweigern sich. Der ganze Prozess kann sich dann nach hinten verschieben.

 

Gibt es auch ein „zu spät“?

Nicht, wenn Eltern die Signale des Kindes ernst nehmen. Manche Kinder tragen auch mit 4,5 Jahren tagsüber noch eine Windel. In der Regel sind sie bis zum 5. Geburtstag tagsüber trocken. Nachts dauert es oft länger. In einer ersten Klasse sitzen im Schnitt drei Kinder, die nachts noch eine Windel brauchen. Auch das ist altersgemäß und kann verschiedene Gründe haben. Wenn Kinder körperlich und geistig altersgemäß entwickelt sind, haben sie früher oder später das Bedürfnis, die Windel loszuwerden.

 

Was bedeutet es für ein Kind, trocken zu sein – körperlich und emotional?

Eine Windel gibt Sicherheit. Wenn das Kind lernen soll, selbst aufs Töpfchen zu gehen, passiert viel auf einmal: Es muss das Ausscheidungsbedürfnis wahrnehmen, rechtzeitig reagieren, ins Bad gehen, sich ausziehen, aufs Töpfchen gehen, sich säubern, Hände waschen. Das ist ein komplexer Vorgang, der Zeit braucht und gute Begleitung. Manche Kinder brauchen dafür Wochen, andere Monate.

 

Wie gelingt das Trockenwerden in der Kita? Lieber in den Ferien starten oder in Absprache mit dem Team?

Beides kann funktionieren. Wichtig ist, dass Eltern und Kita gut zusammenarbeiten. Manche Einrichtungen verlangen im Ü3-Bereich, dass Kinder trocken sind. Dabei sind viele Kinder mit zweieinhalb oder knapp drei Jahren noch nicht so weit. Wird dann zu viel Druck aufgebaut, führt das selten zum Ziel.

 

Erleben Eltern in deinen Beratungen oft Druck rund um das Thema?

Ja. Der kommt meist aus zwei Richtungen: durch Verwandte, die regelmäßig nachfragen. Und durch andere Eltern – die typischen Spielplatzgespräche. Doch wenn das Thema ständig präsent ist und von Großeltern, Erzieher:innen und Eltern aufgebracht wird, kann es passieren, dass Kinder innerlich dichtmachen.

 

Wie können Eltern gut damit umgehen?

Indem sie sich selbst klar positionieren und auch andere darauf hinweisen: Das Trockenwerden begleiten wir als Eltern. Wenn ein Kind kein Interesse zeigt oder sich verweigert, empfehle ich: eine Pause machen. Kein Druck, kein Thema draus machen. Nach ein paar Wochen kann man es wieder aufgreifen.

 

Kann man das Trockenwerden schon früh fördern?

Ja, beim Wickeln. Das ist nicht nur Pflege, sondern auch Beziehung. Eltern sollten darum immer vorsichtig und liebevoll wickeln, nie grob oder hektisch. Sie können ihr Kind schon früh einbeziehen, etwa beim Öffnen der Windel oder beim Herausziehen des Feuchttuchs. Ich rate Eltern, sich zumindest einmal am Tag beim Wickeln wirklich Zeit zu nehmen. Auch thematisch passende Bilderbücher können den Prozess des Trockenwerdens in die Wege leiten bzw. angemessen begleiten.

 

Und wenn Wickeln im Kleinkindalter zum Kraftakt wird?

Das berichten viele Eltern. Auch hier machen sich Eltern oft Druck und denken: Das Kind muss doch jetzt aber gewickelt werden! Dabei ist es oft egal, ob das sofort oder in 5 oder 10 Minuten passiert. Sagt dem Kind: „Wir müssen die Windel wechseln, aber du darfst mitbestimmen, wie.“ Es kann zum Beispiel den Ort aussuchen – Sofa oder Boden. Das fördert die Selbstwirksamkeit. Auch Wickeln im Stehen und die Verwendung von Windel Panties können die Situation erleichtern.

 

Was können Eltern sonst noch tun?

Sprache ist wichtig. Beschreibt, was ihr tut: „Ich mache jetzt deine Vulva oder deinen Penis sauber.“ Keine Verniedlichungen. Das stärkt das Körpergefühl und trägt zur Missbrauchsprävention bei.

 

Wie sollten Eltern mit Rückschritten umgehen – etwa wenn nach der Geburt eines Geschwisterchens oder beim Gruppenwechsel in der Kita wieder vermehrt Unfälle passieren?

Gelassen bleiben und nicht schimpfen. Draußen immer Wechselkleidung und Wetbag mitnehmen. Kinder in neuen Gruppen sind oft von den vielen Eindrücken überwältigt und wollen nichts verpassen. Dabei unterdrücken viele ihre Bedürfnisse. Das erübrigt sich oft von selbst, sobald sich die Kinder in der Einrichtung zunehmend wohler fühlen.

 

Und bei einem Geschwisterchen?

Bei einem Geschwisterkind kann es sein, dass das ältere Kind wieder eine Windel möchte, weil es sieht, wie liebevoll das Baby beim Wickeln versorgt wird. Auch das ist entwicklungsgemäß und Eltern können diesem Wunsch nachgehen und dem älteren Kind eine Windel geben. Die Kinder stellen meist nach kurzer Zeit von selbst fest: Ich brauch das nicht mehr, ich bin ja schon groß.

 

Zum Schluss: Was gibst du Eltern in deinen Beratungen mit auf den Weg?

Vertraut eurem Kind. Es wird den richtigen Moment zeigen. Druck hilft nicht. Begleitet diesen Schritt mit Ruhe und Achtsamkeit. Richtet euren Blick auf all die Dinge, die euer Kind schon kann.

Teaser: 

mo:mo Expertinnen

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